Schottland - MIT E-BIKE UND ZELT - SOMMER 2022
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Tag 25 - Clyde und Tweed - 2. September 2022

Zuerst muss ich mich durch die Vororte wühlen. Mein Navi kennt sich hier nicht so aus, ich muss über Treppen, Rumpelwiesen und scheitere an den Kuhgattern wie zu Highlandszeiten. Durch die engen Schleusen passt das Fahrrad nicht durch.

An den Bushaltestellen stehen die Schulkinder. Alle in Schuluniform, Jungs und Mädels mit Krawatte. Die coolen guys lassen das Hemd aus der Hose und schauen die Welt strafend desinteressiert an.

Immer wieder versuche ich auf dem Weg am Fluss zu fahren. Anfangs ein breiter Spazierweg, bis es enger, verwachsener, steiler wird. Und nach 5 km steht da ein Schild, dass die Fahrt ab hier nicht für Räder geeignet ist. Ich wühle mich dann halt den letzten Kilometer über die Treppen zum gesegneten Asphalt durch. Schottland wird sich da nicht ändern und ich habe es wahrscheinlich am Ende kapiert.
Ein Café bei Sonnenschein wartet auf mich. Cappuccino und scones. Es wird wie fast überall in massivem Einweggeschirr serviert. Selbst wenn ich im Cafe sitze, wandert ein weiterer Plastikberg im überbordenden Mülleimer.
Schottland ist Steinmauerland. Überall säumen die netten Wegbegrenzer die Straßen, damit das Nutzvieh seine Fluchttendenzen nicht ausleben kann. Wenn man alle Schottischen Steinmäuerchen aufeinander, nacheinander und übereinander stapeln würde, ergäbe es 17,2 mal die Chinesische Mauer. Grob geschätzt. Vom Volumen her.
Peebles liegt am Tweed. Einem netten Flüsschen, dem ich auch versuche zu folgen. Hier ist auch so eine Brutstätte der industriellen Revolution und sie haben hier so einen Stoff erfunden. Habe den Namen vergessen.
Jetzt also am Tweed. Da hüpfen einige junge Burschen umeinander. Die haben am Baum ein Seil befestigt, mit dem man sich in den Fluss schwingen kann. Wenn man ganz verrückt ist. Ich biete den Jungs an, Fotos zu machen, wenn einer reinspringt. Genaugenommen ist das nicht wirklich ein Deal. Aber es dauert nur Sekunden, bis so ein Pfiffikus ins Wasser platscht. Sind halt Kerle. Fast wie wir früher.
Ich war nun bereit, den Abend und irgendwie auch die ganze Reise ausklingen zu lassen.
Im hübschen Peebles noch fish & chips besorgt und auf zum Zeltplatz. Ich finde ihn nicht, keine Schilder. Bis ich genau auf dem Navigationspunkt stehe, bin ich aber auch schon da. Keinerlei Hinweisschilder. Die Reception ist nicht besetzt, aber die Telefonnummer vom Manager ist angeben. Hey, I am Konrad and I want to camp with a small tent. NO SORRY WE ARE FULLY BOOKED. Dann habe ich so auf die Tränendrüse gedrückt: ich bin 70 miles gecycled and I geh heute nirgendwhere more hin. GRUMMEL. 5 Sekunden Pause. Eine nette Damenstimme eröffnet mir, dass noch genau ein Platz frei wäre. Da war sie wieder: meine Zentralkompetenz für ältere Damen.
Auf einem Foto könnt ihr sehen, wie wir eng eingepfercht nebeneinander zelten, den Nachbarn in weiter Ferne.

​Jetzt aber, denke ich so. Es wird ein gemütlicher Abend, der fish riecht aus der Seitentasche. Ich radele auf den Platz und bemerke, dass die Hinterradbremse ins Leere greift, bis der Bremshebel am Lenker ist.
Zuerst Zelt aufbauen, es muss trocknen. Die Akkus schnell an eine Steckdose, damit ich nicht in die Nacht hinein warten muss.
Bei der Bremse hat sich der Splint verabschiedet, der die Bremsbeläge an ihrer Stelle hält. Der ist normalerweise eingeschraubt und zusätzlich wiederum mit einem Splint gesichert. Keine Ahnung, wie sich das hat lösen können.
Ich suche mir ein übersichtliches Plätzchen zum Schrauben. Als Reserve habe ich immer Ersatzbeläge mit und da sind auch etwas primitve Splinte dabei. Ich muss also einfach die Beläge wechseln. Ich hasse so etwas auf der Reise zu machen, weil es einfach klappen muss. Aber schließlich und endlich ist es nicht so schwierig.

Das Fahrrad fährt wieder und es bremst sogar. Ich war also bereit, Beifall vor meiner Hütte entgegenzunehmen, aber die war nicht mehr da. Ich habe in meinem Adrenalinbad gar nicht bemerkt, was für ein Wind aufgezogen ist und ich finde das Zelt 20 m weiter. Ich hatte in der Hektik vergessen, die Häringe in den Boden zu drücken.

Tag 26 - Melrose und Dryburgh - 3. September 2022

Hatte mich schon gewundert, dass die Auswahl an Joghurts im COOP so klein ist. Habe ich eben den mit Erdbeeren genommen. Habe ich so gedacht. Man sollte lesen können und Englisch am besten auch: war pure Sahne. Ganzer Becher am Morgen hält lange vor.
Hier im Grenzgebiet liegen die berühmten Zisterzienserklöster. Das ist nicht nur für Sakralbaujunkies interessant, sondern auch für jegliche Art von Mystiker, Melancholiker oder Dystopisten.
Das erste auf meiner Route ist Melrose. Leider kann das Kloster nur durch einen Zaun betrachtet werden wegen Renovierung. Deswegen halber Preis. Ich ertrage das mit Fassung, da es so trübe ist, dass ich eh keine schönen Fotos machen kann.

Die Zisterzienser hatten die Idee, dass man mit einer höheren Trefferwahrscheinlichkeit in den Himmel kommt, wenn man ein verzichtvolles Leben führt. Ich meine, ich habe da in den letzten Wochen einige payback Punkte angeheimselt, so dass ich da momentan auch gut dastehen würde. So dachte früher auch der Adel hier, und päppelte das Kloster geldtechnisch, damit man selber irgendwie im Herdenfluss auch direkten Zugang ins Himmelreich erhalten würde.
Das hatte schließlich zur Folge, dass sich die Mönche entschlossen, die Freuden des Paradieses schon etwas vorzuziehen.
Ein gewisser Richard II. hat das Kloster niedergebrannt, schlicht weil er es konnte. Und daraufhin hat er es so mit dem Gewissen zu tun bekommen, dass er es auch wieder aufbaute. Wie die Kinder in den Sandburgen.
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Auf der Suche nach weiteren payback Punkten geht es zum nächsten Kloster Dryburgh. Leider kann das Kloster nur durch einen Zaun betrachtet werden wegen Renovierung. Deswegen halber Preis.
Die Engländer haben im 16. Jahrhundert auch diese Anlage niedergemetztelt. Weil es nun mal die Aufgabe der Ritter war, die Nachbarn zu ärgern.
Schöne Gärten gibts in Schottland. Ich suche sie nicht, aber ich finde welche. Und finde die immer ganz besonders reizvoll.
Bin heute Abend in Jedburgh. Also dass mit ...burgh hinten, das bedeutet Grenze. Dryburgh, Edinburgh. Alles Grenzstädte. Jetzt also wieder was gelernt.
Ich bleibe zwei Nächte hier. Ich habe noch den einen Jokertag und morgen soll es dann viel regnen. So bin ich flexibel. Wenn das Wetter es zulässt, mache ich einen Ausflug. Ansonsten ist sowieso doof.

Tag 27 - Jedburgh und Kelso - 4. September 2022

Ich habe heute in einer echten englischen Bäckerei ein frisches Brötchen erstanden. Es ist ein Debakel aus Elastomeren und der Abwesenheit irgendwelchen Geschmackspartikel.
Es sei uns ein Mahnmal, dass die Zivilisation ihren Zenit und Rubikon überschritten hat. Auch getränketechnisch ist es ein Fiasko. Da gibt es dieses Ibn Bru, das hier wohl mehr getrunken wird als Cola und Konsorten. Ich habe das auch für euch getestet, und es schmeckt wie in Torfwasser aufgelöste Gummibärchen.
Die Engländer lieben wohl schlechtes Essen und sind auch sonst der eher ungewöhnliche Kauz. So vom Typus her. Sie beten eine alte Frau an. Der Prinz hat Ohren, als wenn er das ganze Leben diese Masken getragen hätte. Und morgens wird man gefragt, wie man so tut. Das Lenkrad im Auto ist auf der Beifahrerseite eingebaut.
Die Schotten setzten noch einen drauf, indem hier die Männer die Röcke anhaben und sie aus Schweinemägen Luft pressen.
Bei meinem Sonntagsausflug stehen wieder zwei Abteien an. Es geht zur Abbey in Kelso. Leider kann das Kloster nur durch einen Zaun betrachtet werden wegen Renovierung. Deswegen halber Preis. Ein Earl of Hertford brannte das Kloster 1545 nieder, weil es einfach sein musste. Hier ist schließlich Grenzland zwischen England und Schottland.
Ein bisschen Sonne hätte diesem hübschen Örtchen gut gestanden.
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Und weiter auf meiner 50 km Runde schließlich komme ich nach Jedburgh, wo mein Zelt steht. Leider kann das Kloster nur durch einen Zaun betrachtet werden wegen Renovierung. Deswegen halber Preis.
Jedburgh wurde von den Engländern schon im 13. Jahrhundert das erste Mal zerstört, weil die Schotten ihrerseits vorher eine englische Sandburg umgedingselt hatten.

Ich hatte diese vier Klosteranlagen vor 7 Jahren schon einmal angeschaut. Sie sind wirklich eindrucksvoll. Dass die Schotten nahezu alle Sehenswürdigkeiten im ganzen Land gesperrt haben, ist auch etwas befremdlich.
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Morgen gehts nach Hexham, was schon meine allererste Station war. Dann gehts schon nach Newcastle, auf die Fähre. Da freue ich mich jetzt schon drauf.
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