16.Tag 31.08.2016 Gorges de Cians
Es gibt schon komische Vögel unter den Campern, vor allem den Mopedpiloten. Ein Kollege aus Trier zeltet nebenan und so ergab sich ein kleiner Campingtratsch. Und natürlich Wettbewerb, weil Männer immer Wettbewerb, also die Gene. Wer hat die tolleren Kochrezepte für den kleinen Campingbrenner? Also auch weibliche Gene. Der gewiefte Globetrotter hat im Koffer das Essen für die 10 Tage Frankreich. Tiefschockatomgefrostet im Plastikbeutel. Einmal aufkochen und dann magic ist das Menü im Alutopf. Der Herrgott mag zwar seine Mahlzeiten in Frankreich einnehmen, aber was das Proletariat hier zu essen bekommt, will er dann lieber doch nicht ausprobieren.
Die Nacht war nass und auf dem sandigen Boden gibt das eine Schlammschicht, die mit auf die Reise will. Da hilft nur das Spültuch vom Müllermarkt. Die Tage werden schon kürzer, und so wird früher in den Schlafsack geschlüpft und für den Morgen habe ich den Hahn auch für etwas früher bestellt.
Der große Bruder der Gorges de Daluis heißt Cians, natürlich auch mit Gorges vorne. Auch Brüder haben immer Wettbewerb. Also tiefer, dunkler, schluchtiger. Es gibt eine alte Straße und eine neue. Die neue hat diese Tunnels und die alte hat die Aussichten und Einsichten in die tiefen Abgründe und Einschnitte in den Berg. Bei selektiver Wahrnehmung waren die juristischen Bedenken, die alte Straße zu befahren gering. Doch an manchen Stellen geht selbst der Fußgänger ein gewisses Risiko ein, da doch von oben der Berg arg bröselt.
Weiter geht es Richtung Norden in die Haute Provence. Die Landschaft wird alpiner, die Pässe gehen bis auf 2300m am Col d Allos. Ich mag gerade deswegen die französischen Alpen, weil man hier auf kleinsten Straßen durchs Land kommt. Selbst auf den ganz hohen spektakulären Straßen ist kaum Verkehr. Auch hier sind häufig die Straßen so schmal, dass man bei Gegenverkehr Ausweichstellen suchen muß.
Wenn man auf der Landkarte die Skilifte sieht, ist der Kuschelfaktor verschwunden. Trotzdem machen auch im Sommer Menschen hier zwischen den Betonburgen und den toten Liftanlagen Urlaub. Hotelkapazitäten sind ja da.
Je weniger Menschen unterwegs sind, desto häufiger komme ich in Gespräche mit den Reisenden oder Einheimischen. Ein nettes Pärchen aus HVL mit Mittelmotor erzählen von ihren Stationen zwischen Berlin, Paris und dem Col de Champs. Und endlich bin ich auch mal zusammen mit einem Porsche auf einem Foto.
Im Tal liegt das Städtchen Barcelonette. Hier gibts wieder Futter für das Pferdchen und Funkbits für den Blog.
Mein Ziel für heute ist das alte Dörfchen Saint Paul sur Ubaye. Das liegt hier schon auf 1500 m Höhe und man sieht den Häusern an, dass sie sich für kalte und düstere Tage wappnen müssen. Ein Franzose zeigt mir stolz die Jahreszahl über seiner Haustüre. An die 700 Jahre ist der Kern der Dorfes alt.
Der Zeltplatz ist wunderschön und abgeschieden in einem Birkenwald an dem Flüsschen Ubaye gelegen und das Foto ganz oben auf dieser Seite ist dort entstanden. Morgen ist schon September und hier herbstelt es.
17. Tag 01.09.2016 französische Hühner
Ich wache im Nebel auf. Es dampft aus meinem Mund. Zuerst brauche ich 3 Dinge: Daten, Fakten, Zahlen. Die Analyse später. Die Wetterapp gecheckt. 2 Grad waren es heute Nacht. Gleich das Thermometer raus auf das Motorrad gelegt. Bei Abfahrt werden es 5 Grad sein. Also Programm Michelin. Zwei wollene lange Unterhosen übereinander, der Nierenwärmer aus Morhair mit Nebenaufgaben für Milz und Leber. Die roten Wandersocken wärmen beim Anblick das Herz. Einfach alles anziehen, was im Koffer ist. Und die Analyse: ein verdammt harter Typ, der eigentlich zu bescheiden ist, das in seinem Blog zu schreiben.
Zwei Stunden später sitze ich in einem schattigen Café in dem Alpenstädtchem Embrun, nachdem ich vorher am Straßenrand meinen Strip hingelegt habe.
Die Gegend hier heißt Devoluy. Wer das von euch kennt oder schon von gehört hat, kann ja mal schreiben. Es gibt hier keinen Tourismus, ich sitze an dem Pass Col de Devoluy in 1600 m Höhe, und kann in beide Richtungen endlos schauen. Es ist niemand da. Kein Auto, keine Kuh, Nichts. Aber ich will hier nicht in epischer Breite das Land beschreiben, es ist eher die szenische Tiefe, die ich euch nahe bringen will.
Eine der ganz wichtigen Gründe durch Frankreich zu reisen ist bekanntlich das Essen. Mir haben es besonders die gegrillten Hühnchen angetan. Die werden hier mit viel Kräutern und Kruste gebraten. Mittlerweile habe ich kapiert, dass man diese Kunstwerke nicht halbiert kaufen kann. Man muss das eben als Aufgabe betrachten, so ein ganzes Hühnchen. Also Systemessen. Den größten Fehler, den die Anfänger machen: Beilagen. Dann hast du gleich verloren. Beim Marathon mache ich auch keine Purzelbäume nebenher. Bier, Wein, Wasser ist aber ok, wie beim Marathon ja auch. Auf den Fotos könnt ihr sehen, dass ich im Großen und Ganzen die Aufgabe gemeistert habe. Wobei ich so eine Schwester habe. Es ist die mittlere von allen. Die kann pulen. Bei der hast du nie fertiggegessen. Die sagt jetzt bestimmt: nicht gewonnen, unentschieden, Verlängerung, weiter essen.
Bei diesen riesigen Hühnchen ist der Diminuitiv ein Absurdum, eigentlich sind es gebratene Hühnen.
Es geht ins Dörfchen Montmaur. Das hat im Touriranking einen Stern, aber es gibt außer einem Schlösschen nur Neubauten. Das alte Gemäuer darf ich gratis besuchen, da sie nach mir die Türen schließen und erst im Frühjahr wieder öffnen. Der kausale Zusammenhang erschließt sich zwar nicht sofort, aber ich will es akzeptieren. Der Schlossherr tendiert zu einem eher unsachgemäßem Umgang mit Klavieren. Aber er scheint sehr viele davon zu besitzen und vielleicht kann er nicht Klavier spielen. Oder er mußte als kleiner Knabe immer Klavier üben und nun verarbeitet er dieses Trauma. Aber vielleicht schreibe ich das auch nur, weil ich als Bub immer Klavier spielen mußte. Bis die Klavierlehrerin gesagt hat, dass es überhaupt keinen Sinn macht. Geh lieber spielen. Das macht weniger Lärm. Sie hat halt wohl geahnt, wohin ein erzwungener Klavierunterricht führen kann.
Der Zeltplatz ist nur einige Meter vom Schlösschen, und ich bin der einzige Zelter. Madame will kein Geld von mir. Das Argument kenne ich. Ich bin der letzte.
18. Tag 02.09.2016 im Vercors
Chatillom-en-Diois heißt der erste Punkt meiner Todotouri-Liste. Ich schlappe durch ein mittelalterliches Gemälde. Nur ein alter Peugot und ein uraltes Motorrad mit einem Fahrer, der statt Helm das französichen Käppchen aufhat. Jetzt sind auch alle anderen Menschen hier in Klamotten aus der guten alten Zeit. In dieser Idylle pfeift und schreit es, und ganz langsam schwant mir, dass dies mir gilt. Ich bin zwar früh am Morgen auf den Beinen, aber meine Synapsen haben um diese Zeit noch keine Betriebstemperatur. Ich stehe mitten in einem Filmset. Mein Styling stimmt nicht. Oder es ist irgendetwas anderes. Ich soll wohl nicht mit auf den Film. Ich gehe auf die Seite und mache ein Foto und wieder pfeift es und schreit es, aufs schröffeste. Keine Fotos. Ich will wohin, wo ich nicht so im Weg bin.
Meine Fotos mache ich in Die. Die sonst nichts. Auch hübsch hier.
Durch Schluchten, über einsame Pässe, kleine Villages. Ich weiß, keine epische Breite. Die Landschaft hier heißt Vercors und hier gibt es nun mal die spannendsten Straßen von Frankreich. Nirgends ist es schluchtiger und nirgends gibt es mehr balcony roads. Und das schaue ich mir die nächsten Tage mal an.
Pont-en-Royans heißt die Zieletappe. Ich will schnell auf den Zeltplatz und am Abend in den Ort laufen. Wie häufig ist die Rezeption nicht besetzt und ich baue erstmal direkt am Flüsschen mein Zelt auf und gehe dann um 18:00 Uhr zum Bezahlen wieder vor. Da erklärt mir der Campingchef, dass ich wieder abbauen muß. Jetzt weil. Das ist Gesetz, steht vorne auf einem Schild, der Fluss, Gefahr durch Hochwasser, war schon immer so, kann man nicht ändern. Diskussion sinnlos. Ich muss nur 200m weiter, aber eben komplett alles zusammenfalten und wieder neu aufbauen. Ihr wißt, wenn mein Plan durcheinanderkommt, dann ist es kritisch. Keine falschen Bemerkungen. Es geht vorbei.
Ich habe mir für Pont-en-Royans das Stichwort Schmuckkästchen notiert. Und wenn man spät abends bei letztem Licht die alten am Fels klebenden Häuser fotografiert, dann ist es eine korrekte Bezeichnung. Dann noch ein Heineken mit Ladenschluss und dann tief sinnieren am Fluß. Weil es das Schicksal doch gut meint. Das Leben ist schön und so.