Mit dem e-bike und Zelt
durch Österreich im Sommer 2024
Ich wache früh auf, weil jede Menge Verkehr durch mein Zelt fährt. Aufstehen ist deutlich leichter, wenn man sich nicht anziehen muß. Der Kälte wegen habe ich in kompletter Montur geschlafen. Kurz noch Kalorien oben eingeworfen und hoch zur Auronzohütte, um die drei Zinnen zu umwandern.
Nach 500m stehe ich im Stau. Als Anhänger der regelbasierten Demokratie bleibe ich einige Sekunden in der Warteschleife. Aber ich will wissen, wer da die Stauführerschaft übernommen hat. Die Autos stehen 1,5 km lang bis zur Mautstelle. Dort wird nur dosiert durchgelassen, weil oben die Parkplätze beschränkt sind. Der Ansturm ist enorm.
Oben angekommen ist es eine gemütliche Pilgerrunde um die großen Steine herum. Schon schön und irgendwie eindrucksvoll. Man läuft ziemlich nah beieinander und ich bekomne so manche Microkommunikation mit. Sie: ich dachte eigentlich, dass wir heute einen Wellness Tag einlegen. Er: das holen wir heute Abend alles nach, Schatz. Loriotesk.
Es sind doch 4 Zinnen. Warum fällt das keinem auf. Das erinnert an den Dieselskandal, wo das Offensichtliche nicht wahrgenommen wird. Ihr könnt ja mal an Hand der Bilder selber nachzählen. Und warum heißt es Zinnen und nicht Zinken?
Ich war schon mal auf dieser Auronzohütte, glaube ich. Vor so 40 Jahren. Damals gab es noch die Lederschuhromantik. Ich muss mal meine Schwester fragen. Die weiß immer alles besser.
Mein Wellnesstag beginnt mittags. Es geht noch 30km immer leicht bergab. Ich bräuchte mal mehr als eine Dusche. Bergab ist alles ok, aber in ein Café hinein wollte ich jetzt nicht. Es geht herunter ins Tal nach Cortina d Ampezzo. Jetzt große Quizfrage: was hat diese 7000 Einwohner Gemeinde mit Paris und Los Angeles zu tun? Charaktermäßig und betontechnisch ist das so wie in Innichen, nur ohne Barockkirchen. Aber den Leuten gefällt's. Da brauch man nicht optimieren.
Ich habe einen ordentlichen Schreck bekommen heute morgen, als ich die heutige Route im Smartphone abrufe: 11,5h Fahrtzeit. Das kann nicht sein, ich bin viele Kilometer vom Startpunkt meiner Planung entfernt. Ich habe eine Etappe schlicht vergessen. Ich hatte so lange Zeit zu Organisieren und dann sowas. Ich muss also am Handy eine neue Route planen. Meine Finger sind für diese Geräte zu dick. Das ist so mühsam. Ich lasse die Reiseapp Komoot alles entscheiden und setzte nur den Zielpunkt. Schauen wir mal, was die smarte Intelligenz heute von Ihrem Lakaien verlangt.
Ok, das könnte ich jetzt auch nicht besser planen. Es geht auf der Romantikskala +3 auf Waldwegen neben einem Fluss berghoch.
Noch voll in der Komfortzone kommen mir zwei Gravelbiker entgegnen und fragen, was ich so vorhätte. Und vor allem, ob ich hier auf diesem Weg weiter wolle. Hier kommt die subtextuelle Komponente aus der dunklen Seite von links hinten angekrochen. Ja klar, will ich hier weiter. Wenn es nur eine Richtung gibt, die Alternativen rar sind, auch entscheidungsschwache Menschen nicht ins Grübeln kommen, ist es doch leicht im Leben.
Die zwei Biobiker sind vom Pass herunter jetzt seit 4 Stunden unterwegs. Oft schieben. Bremsen kühlen. Fahrrad über die groben Schottersteine tragen. Ja wie, schaffe ich das mit meinem 65kg Transporter?
Biobiker, also Radler ohne elektrische Unterstützung, haben eben noch nicht in den Apfel der Elektrifizierung gebissen. Ich hoffe, ihr ahnt, was ich zu sagen vermute. Die zwei Kollegen, die mir entgegen kamen, können sich nicht vorstellen, wie leicht man die Berge hochkommt, wenn man so ein Motörchen an Bord hat. Ok, ich habe auch fast 3 Stunden gebraucht. Auch so manchen Kilometer über die großen Steine geschoben. Aber die Landschaft ist echt die Sahnehaube meiner Reise. Das hat großen Spaß gemacht.
Da ich den Tag ja gar nicht geplant habe, weiß ich nur den Namen meines Zielortes: Al Plan. Die Camping Queen wollte 35 Euro von mir. Da hab ich gelacht, und dann hat sie auf 30 abgerundet. Sie hat dann erklärt, dass hier der einzige Platz der Region sei und deswegen jeden Preis verlangen könnten. Ist wohl so, es ist Ende August, und alles ist voll und ausgebucht.
Hier noch die heutige Tour.
Start in den Tag erfolgt in voller Montur mit den Regenklamotten als äußerste Schicht. Es ist kalt so hoch und so früh. Und mit jedem weiteren Sonnenstrahl fallen allmählich die Hüllen bis zum Frühstück der Herr aussieht, wie Gott den Radler geschaffen hat.
Der Cappuccino ist ja Antrieb, morgens in die Pedale zu treten. Der Kocher hat das Wasser schon auf Betriebstemperatur, nur das gute Pulver fehlt. Die ganze Küchentasche ist nicht zu finden. Die habe ich wohl an einer der letzten Auskleidestation liegen lassen, als ich auch ein paar Nüsse gegessen habe. Ich muss 300 HM wieder abfahren und finde am ersten Rastplatz die Tasche nicht. Ich schütte den gesamten Inhalt der Seitentasche auf den Asphalt und stelle fest: die Küchentasche habe ich in geistiger Übernachtung in den Einkaufsrucksack gesteckt. Den Rest des Aufstiegs beschäftigt mich die Frage, ob ich mich ärgern oder freuen soll. Einerseits ist sich freuen natürlich super. Aber will man so enden wie ein zugeknallter Kiffer, der jedes Malheur mit einem Dauergrinsen begrüßt.
Kurz hinter Brixen liegt der letzte Zeltplatz, bevor es Richtung Brenner über den Hauptkamm der Alpen geht. Ich fahre morgen nicht die alte Brennerstraße, sondern probiere ein Seitental, wo es in 2400 MH einen Pass gibt, den ich mit dem Rad schaffen könnte. Hoch ist wohl einfach, auf der anderen Seite bergab sind dann 5km der Kategorie S2. S0 ist perfekt, S1 ist rumpelig, S2 ist schieben, S3 ist tragen und schließlich S4 wollte ich nicht zu Fuß gehen. Kann also sein, dass ich nach einem 1800 HM Anstieg 5km schieben muss. Das ist die letzte Engstelle meiner Routenplanung. Ich habe alle Joker-Ruhetage schon gezogen. Aber den Tag in Salzburg könnte ich hergeben, wenn ich umkehren muss.
Wenn man aus dem Urlaub zurück ist, dann wollen sie alle ein Mitbringsel. Und eines schleppst du immer mit nach Hause: die guten Vorsätze. Der Klassiker ist das Abnehmen, was im Urlaub nie klappt, weil du ja wegen den Versuchungen überhaupt erst in die Fremde fährst. Vielleicht willst du einen Tanzkurs machen, weil beim Schwofen mit der Erika es dann doch nicht geklappt hat. Natürlich Sprachen lernen, hätte auch geholfen bei der Erika für wegen Apres-Schwofen. Und mein Vorsatz lautet: nie wieder Pizza. Mir hängt der Käsebatzen in dem aufgeweichten Teig heute noch in einer überforderten Magenregion für Sondermüll. Pizza ist ein völlig überschätztes Gericht, das vom Komplexitätsgrad noch hinter Broteschmieren rangiert. Knapp vor der Chipstüte. Heute bin ich ganz woke und bestelle den Camembert Salat.
Hier die Tour zum mitradeln.
Es geht auf üblen Rumpelpfaden hinunter ins Tal nach Brixen. Das ist der doppelte Kulturschock: von den stillen Bergen ins italienische Gequirle und von der morgendlichen Kälte zu stolzen 33 Grad. Es gibt barockes Brimborium und einen romanischen Kreuzgang, der stattliche 1000 Jahre alt ist. In den schattigen Laubengängen der verwinkelten Altstadt liegt ein Restaurant neben dem anderen. Mir reicht ein Latte Macchiato.
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