Konrad Gös

Schottland 2015 Teil 4

Nach Norden

Ich habe jede mögliche Wanderung hier als GPS route auf dem Handy, aber das ist mir zu umständlich. Proviant habe ich im Bauch, südlich war ich gestern, also nach oben gestiefelt. Es gibt ein Arboretum. Die Wälder sehen wegen der vielen Farne und Mose sehr grün aus. Dann gibt es ein Baumhaus, eine Wiese mit diesen Urviechern mit den großen Hörnern und dem zotteligen Fell. Es gibt ein Fluß, bei dem versucht wird, die Lachse wieder anzusiedeln, die vor 20 Jahren ausgestorben sind. Dann entdecke ich diese große hohe Steinmauer. Das Tor war nicht verschlossen, zumindest nicht sehr fest. Es erscheint ein viktorianischer Garten zwischen Verwilderung und Rekonstruktion.
Also es highlitete sehr. Wirklich großes Kino hier diese Küste. Ich bin ganz vorsichtig gefahren, ich wollte hier bestimmt nicht liegenbleiben. Wenn jetzt was passiert, und angenommen, du weißt, wen du dann anrufst, damit er dich rauszieht: geht nicht. Hier gibt es kein Funknetz. Man sieht hier niemand mit smartphone am Ohr. Deswegen machen hier diese roten Telefonzellen noch richtig Sinn. In den großen Ortschaften funktioniert der Empfang und ich kann da dann auch ins Internet. Aber große Ortschaften sind 100km voneinander entfernt. So 1 % ist hier die Abdeckung. Also schön langsam fahren.

Und in einem dieser Momente, wo ich an einem einsamen Strand sitze und mir Gedanken mache, was Essbares noch in der beigen Tasche ist, sehe ich Robben. Die plantschen und köpfern ins Wasser und klettern auf Felsen. Einfach Zucker. Jetzt noch ein bisschen aus der Entfernung, aber wir müssen uns ja erst aneinander gewöhnen.

Etwas schade, dass so arg schlechtes Wetter ist. Und es ist auch richtig kalt. In einem Cafe aus den 60ern gibt es Suppe mit Paprika und Pfeffer. Was zum einheizen. Ich esse so langsam, dass zweimal die Bedienung kommt und abräumen will. Aber ich will noch ein bisschen länger hier sitzen und halte den Teller gut fest.

Am späten Nachmittag komme ich mal wieder unter Sonnenschein nach Ullapool, wohl der letzte größere Ort vor ganz oben. Zusammen mit Sonne und Wind bekomme ich die Klamotten getrocknet. Der Ort ist richtig schnuckelig und ich bekomme eine Portion Haggis. Das ist wohl nach dem breakfast die typischste schottische Speise. Schafsinnereien. Also Saumagen vom Schaf. Und um die Schafsvitamine zu erhalten, wird dieses Haggis in die Friteuse gelegt und auf Pommes gebettet. Natürlich mit Essig. Lecker.
Ich bin noch 150 km von der Nordküste entfernt und ob ich morgen dahin aufbreche, weiß ich noch nicht. Wetterbericht sagt, viermal so viel Wasser wie heute.
Das Zelt liegt 10 m vom Meer entfernt und es ist ganz friedlich hier. Vielleicht überlegt es sich noch das Wetter.

Wie es morgen wird, wird dann hier stehen:
Teil 5 http://www.heidelfoto.de/stories/S_2015/schottland-2015-teil-5

Teil 1 http://www.heidelfoto.de/stories/S_2015/schottland-2015-teil-1
Teil 2 http://www.heidelfoto.de/stories/S_2015/schottland-2015-teil-2
Teil 3 http://www.heidelfoto.de/stories/S_2015/schottland-2015-teil-3
Teil 4 http://www.heidelfoto.de/stories/S_2015/schottland-2015-teil-4
Teil 5 http://www.heidelfoto.de/stories/S_2015/schottland-2015-teil-5
Teil 6 http://www.heidelfoto.de/stories/S_2015/schottland-2015-teil-6
Teil 7 http://www.heidelfoto.de/stories/S_2015/schottland-2015-teil-7
Teil 8 http://www.heidelfoto.de/stories/S_2015/schottland-2015-teil-8

Die gesamte Route auf googlemaps:
https://www.google.com/maps/d/edit?mid=ztV_LF4D8Xt0.k5-B5QI01b6M&usp=sharing
Tag 10 26.August Nach Applecross
Dann gibts dieses Eilean Donan Castle. Das kennt ihr alle. Nur meine Eltern nicht. Die schauen nicht solche Filme. James Bond war hier, und natürlich der Highländer. Den, wo es nur einen geben kann. Christopher Lambert kommt mimikfrei durchs Schlachtengemälde gegen die Engländer. Er gegen alle. Also Blick vom Parkplatz reicht. Ich muß hinterher im Photoshop die vielen Regenjacken wegstempeln, die eine größere Invasion darstellen als Franzosen und Engländer zusammen.
Treffe dort noch echte Biker mit ihren 6-Zylindern Goldwings mit Anhänger, aus denen sie das Zelt aufklappen können. Es gibt ein Leben jenseits des Mobilhome.
Habe ich euch schon vom Linksverkehr erzählt? Da ich mich hier gut anpassen will, mache ich das tendenziell auch mit. Vielleicht die ersten vertrielten Meter am morgen geht es auf der rechten Seite. Da die Briten aber alle falsch fahren, mache ich das dann auch. Geht genauso. Nur beim Gegenverkehr fehlt so das Urvertrauen, dass auch wirklich alle die andere Seite wählen. Und der roundabout ist dann gewöhnungsbedürftig, dass von rechts die Gefahr kommt. Aber das Motorrad ist eine Engländerin und weist mich dann auf diese andere Seite. Es gibt übrigens kein Links vor Rechts, sondern jede Kreuzung hat eine Vorfahrtstraße. Interessanterweise laufen Fußgänger rechts aneinander vorbei. Die Schotten wissen schon, dass das mit dem Linksverkehr nicht ganz korrekt ist, aber man will die Sache nicht noch komplizierter machen.

Nebenan zeltet ein schweizer Pärchen. Richtige Bergsteiger. Schweizer leiden besonders unter dem hohen Pfundkurs. Deswegen haben sie ihre Nudelsuppen in Alditüten ins Königreich geschmuggelt. Ich hatte Ihnen erzählt, dass ich auch etwas wandern wollte. Dann sieht er mich loslaufen mit meinem Knirps-Schirm! Wandern mit Schirm! Da wird geschmunzelt. Dann habe ich zurück geschmunzelt: die haben jeweils einen 2-Liter Wassersack in ihren Rucksäcken mit Schläuchen direkt in die Öffnung für orale Einnahme. Man, haben wir gelacht.

Und es gibt alte Scheunen. Also richtig alt. Ich meine, beim Erstbezug kamen sie aus den Höhlen hierher. Man hat gewisse Reste gefunden und das wieder aufgebaut. Genauso ein rundes Haus mit Schilfdach. Auf den Erklärungstafeln steht, dass es diese Bauart ausschließlich hier in Applecross gibt. Die Schotten sind sowohl eigen wie erfinderisch. Manchmal jedenfalls. Es gibt hier keine Mischbatterien. Kalt Wasser rechts, heiß links. Keine Kompromisse, keine halben Sachen. Wahrscheinlich gibt es ein Importverbot für halbe Sache. Ist so ein Männlichkeitsdings. Deutsche können super mischen. Wahrscheinlich Weltmarktführer. Nur einmal gab es in der Dusche so ein DrehKurbelZiehApparatur zur Regulierung von Wohlfühltemperatur und Gesamtdurchfluss und irgendwas drittem. Aber ich Globetrottel habe es nicht kapiert. Jetzt auch ein ganz wichtiger Tipp: lass alle Einstellungen in der Dusche wie sie waren. Es gibt nicht so viele Kaltduscher, wie behaupten, welche zu sein. Normalerweise stimmt die Temperatur, dauert immer nur eine Weile, bis sie sich einpendelt. Habt ihr mich? Damit das alles hier auch Sinn macht. Es ist ja für euch, also passt auch auf.

Das Ziel einer Wanderung ist der Pub. Wenn sich hier 5 Häuser zusammenrotten, ist das mittlere immer der Pub. Es gibt gammon-steak mit local blonde beer. Hatte keine Ahnung was gammon ist, aber ich esse sowieso alles.
Tag 11 27 August Wandern auf Applecross
Und dann kommt mein Auftritt als Retter, Kavalier und Ingenieur. Eine ältere Dame baut ihr Zelt nebenan auf und einer ihrer Gestängebögen ist zerbrochen. Statt einer nassen Nacht kommt die Rettung in Himmelblau: ich schiene mit einem Häring und verklebe das mit Panzertape. Später finde ich eine Tafel Schokolade in meinem Vorzelt.
Ab jetzt will ich immer älteren Damen helfen.
Tag 12 28. August an der Küste entlang weiter nach Norden
Nach Applecross kommen keine Wohnwagen, keine großen Wohnmobile und auch Fahranfängern wird von der Fahrt abgeraten. Es gibt nur diese eine Straße und die ist der einzige richtige Pass mit Haarnadelkurven in Schottland. Der Pass steckt mitten in den Wolken fest oder es ist andersrum. Ich taste mich im 2. Gang hoch, der Wind peitscht den liquid sunshine vor sich her. Es wird richtig dunkel und man erwartet eigentlich jetzt eine dramatische Musik. Stattdessen ist man irgendwann auch wieder unten und dann blinzelt doch tatsächlich die Sonne hervor. Auf dampfender Wiese baue ich das tropfnasse Zelt auf und mache mich auf einen Spaziergang Richtung Küste und entdecke einen merkwürdigen Wald. Überall sind Schaukeln an den Bäumen. Sowas.
Nach einem Tag herumgetrödele und herumgefresse muss es weitergehen. Fette Regentropfen begleiten das Einpacken. Schon im Zelt muss alles wasserdicht verpackt sein, so dass ich kein weiteres Mal nass ins Zelt muss. Trotzdem habe ich Wassereinbruch in einer Alukiste. Die Ursache läßt sich am besten mit Dummheit festmachen. Die Klamottentasche ist nass. Ich selber bin trocken und als erstes muss getankt werden. In Applecross gibt es eine Zapfsäule mit Kartenbetrieb. Die Kreditkarte wird nicht akzeptiert. Ich fluche laut auf deutsch und fühle mich an Frankreich erinnert, wo das auch fast nie funktionierte. Ohne Tanken müsste ich 60 km zurück. Aber die EC-Karte wird genommen und es kann weiter gehen. 200km Küstenlinie liegen vor mir und ich fahre ziemlich langsam, damit ich wenigstens irgendwas mitbekomme. Wildromantische Landschaft mit schwarzen Wolken, die kein Geheimnis aus ihrem Inhalt machen.
Auf einer Ausweichplattform steht ein Campingvan und ich stelle mich daneben, denn es gibt hier eine gute Aussicht. Der Fahrer des Vans spricht mich an und wir reden über englische Motorräder und japanische Kameras. Ich werde auf eine Tasse Kaffee in den Bus eingeladen. Tony und seine türkische Frau Fügen haben hier die Nacht verbracht und genießen seit Stunden diesen Blick.
Tony dürfte so um die 70 sein und erzählt von seinem Abenteuer, als er in Rente ging. Er verkauft sein Haus in England und fährt mit seinem 9 m Segler von Calais los, den Rhein entlang, links in den Main und dann über diesen Kanal in die Donau und segelt nach Marmares in die Türkei. Und kauft dort ein Haus. Das hat dann 3 Jahre gedauert und dort hat er dann Fügen kennengelernt und geheiratet.
Also Freunde, es gibt noch was zwischen Bausparvertrag und Rentenversicherung. Ihr könntet euch ein Ruderboot kaufen und nach Syrien paddeln, da kommen euch lauter nette abenteuerlustige Menschen entgegen.
Plockton steht auf meiner Roadmap: Schmuckkästchen. Hier gibts Palmen und ein fish & chips mit genau 2 trockenen Sitzplätzen. Die Chips gibts mit Salz und Essig. Das ist dann sofort high kitchen, nicht so prollig wie Pommes Rot-Weiß. Immer wieder integriere ich die Eingeborenen in ihre Umwelt ein und lasse sie ein Foto von mir machen.
Ich hatte noch 2 Tage auf Skye eingeplant, die eine oder andere Wanderung. Jetzt ist 6:00 morgen und es wird hell. Der Regen hämmert aufs Zelt, die Nacht war eisig. Draußen warten die midges. Bleibe ich hier, gibt es einen Spaziergang nach Portree, aber viel kann man nicht machen. Es gibt nicht mal irgendeine Sitzgelegenheit oder einen Aufenthaltsraum, in dem ich lesen könnte. Selbst wenn es nicht mehr regnen würde, kann man sich nicht einfach vor das Zelt oder in den Wald oder das Örtchen setzten. Man wird überall gefressen. Es ist fast windstill und das lieben die Beißerchen.
Um 9:00 Uhr entscheide ich mich, das Zelt abzubauen und durch den Regen zu fahren.
Frühstück gibts in dem netten Portree und einige feuchte Fotos. Tanken und Einkaufen.
Ich bin viel zu schnell. Da ich 2 Tage früher von Skye geflüchtet bin, habe ich wieder zwei Joker. Einen ziehe ich heute. Der Zeltplatz ist klasse. Direkt neben dem Zelt ist ein Tischchen, es gibt ein ehemaliges Treibhaus, in dem ich scotish breakfast serviert bekomme. Es bleibt nichts auf dem Teller zurück. Auch die Wurst ist weg. Ich beginne den Tag mit 1:0. Hier wachsen auch Trauben und ein wackliges Wlan füttert das iPad. Und wenn die Seuchen vorbei sind, vergisst man sie: der kühle Wind vertreibt die midges. Eine große Karte erklärt die Wanderwege.
Ich finde noch einen einsamen Pub, in dem ich etwas trocknen kann und es gibt diese hausgemachten scones. Mit Butter und 5 verschiedenen Marmeladen. Wenn ich haushaltmäßig nicht so ausbaufähig wäre, könnte ich euch diesen Teig beschreiben. Aber ist nicht, probierts bei Gelegenheit selber aus. Kostet 2,25. incl 5 Marmeladen. Man muss aber nicht alle essen. Es geht hier um die Auswahl. Jaja, ich sollte weiter. Es war so gemütlich.