4.Tag 19.08.2016 Über den Gotthard ins Tessin
Die Nacht hat es durchgeregnet, die Campingwiese steht großteils unter Wasser. Um so mehr kann ich mich über die ersten blauen Himmelsflecken freuen. Der Platz hier in Flüelen ist ein absolutes Highlight. Vielleicht bin ja mal hier bei ordentlichem Wetter.
Es geht die Passstraße hoch zum Gotthard. Es ist wenig Verkehr auf der Straße, denn die meisten fahren über die parallel verlaufende Autobahn. Der Gotthard ist ein ganz besonderer Pass. Kulturscheide ins italienische, häufgig Wetterscheide in den Sommer, Ende der Geranienzone. Da die Schweizer mittlerweile zwei Tunnels in den Berg gebohrt haben, ist oben relative Ruhe auf der alten Gotthardstraße mit ihren Pflastersteinen.
Bei richtig schlechtem Wetter ist man auf dem Motorrad verführt, auch mal durch diese Röhre zu fahren. Ich erinnere mich an eine Fahrt in meiner Jugend auf der Vespa. Ist so 3-7 Jahre her. Da es einspurig ist, konnte mich niemand überholen und mehr als 75 wollte ich bei erlaubten 80 auf dem kippeligen Roller nicht fahren. Der Lastwagen direkt hinter mir im Rückspiegel fuhr fast schon auf Kontakt. Als ich nach 20km direkt nach dem Tunnel auf einen Seitenstreifen fahren konnte, gabe es ein Hupkonzert, als wenn ich gerade frisch geheiratet hätte.
Über das hübsche Belinzona geht es ins Tessin, genauer ins Maggiatal. Auf dem Weg dahin ist die Schweiz wenig ansehnlich, zwischen Industrie und Gewerbeparks geht es in den Süden. Und bevor es zu dann zu öde wird, fahren wir 10 km in einem Tunnel. Der war dann auf bestimmt über 40 Grad aufgeheizt, wo ich doch noch die lange Unterhose an habe. Falls euch so was interessiert.
Mein anvisierter Camping entpuppt sich als heruntergekommenes Brachland, so dass ich weiter das Tal hoch fahre und nach dem nächsten suche. Der ist jetzt ok, es gibt wenig Gras. Das deutet natürlich auf wenig Regen hin. Zumindest in der Vergangenheit. Aber jetzt bin ich ja da. Ich hatte noch nie so einen teuren Zeltplatz. Ohne Parzelle kostet die Tagesmiete des Fleckchen Erde 35Euro. In einem Hotel könnte ich als Ausgleich wenigstens die Handtücher mitnehmen. Auch sonst: die Kugel Eis 3,50 und die Spaghetti 35,-. Egal was im Geldbeutel steckt, da schmeckts nicht mehr.
5.Tag 20.08.2016 Maultierpfad im Onsernone Tal
Schwierige Abwägung: der Wetterbericht sieht Dauerregen vor, ich möchte etwas wandern. Jetzt früh am Morgen haben wir blauen Himmel, obwohl die Wetterapp schon die Regenfront anzeigt. Aber wenn ich jetzt im Zelt bleibe und das Wetter behält recht, dann ist das der schlimmste Fall. Also los.
Das Onsernonetal gilt als eines der zurückgezogensten Täler des Tessin. Es gab noch lange im letzten Jahrhundert keine Straße hoch, sondern nur einen Maultierpfad. Diesen jahrhunderte alten Pfad möchte ich heute gehen. Ich muss gerade einmal 10km fahren und komme an der Busstation von Intragna an. Von hier ist der Weg schon ausgeschildert. Wie so manches in der Schweiz ist das perfekt organisiert. Zuerst durch den alten Ort, dann den alten Steinweg in die Höhe. Immer wieder kommen kleine Dörfer, die bis heute nicht mit dem Auto anfahrbar sind. Aber die Häuser verfallen nicht, sondern werden liebevoll gepflegt. Es gibt einen Personenlift für die Einheimischen, der den Anstieg verkürzt. Auf dem gesamten Weg bin ich einem einzigen Wanderer begegnet.
Kurz vor dem Ende der Wanderung lasse ich es dann regnen, und es wird heute damit auch nicht mehr aufhören. Ich ziehe Regenhose und Jacke an, aber es ist so schwül, dass ich auch von innen total nass werde. Ich bin aber rechtzeitig in dem Örtchen Loco, wo der Bus zurück nach Intragna nur alle 3 Stunden geht. Die Straße ist extrem in den Fels gehauen und aus der Perspektive des hohen Busses sieht die Fahrt abenteuerlich aus.
Jetzt noch schnell in den Coop, um den Nachmittag im Zelt wenigstens kulinarisch aufzupeppen.
Ich probiere mich an einem Coco-Schoko-Mokka-Milchgetränk. Jetzt ist das wahrscheinlich nicht das Schweizer Nationalgetränk.
Ich trinke aber eigentlich alles. Bier weil es gesund ist. Wein, wenn er vor mir steht. Whiskey wegen der schönen Träume. Nur Cola nicht. Cola ist zur Behandlung von fast verwestem Knochen. Als kleiner Bub hatte ich mal einen Rehschädel gefunden, der in seinem Zustand dann doch nichts für die Vitrine war. Aber nach einer Nacht in der braunen Brause ist der so clean, dass der im Apple-store nicht aufgefallen wäre. Auch Hasenfell kannst du damit kuschelig gerben. Und beim Moped hilft die Cola gegen festgeklemmte Schrauben und Kolben. Ich will mir gar nicht vorstellen, was Cola so im Menschen alles anrichten kann. Das ist eines der ganz großen Missverständnisse, das mit der oralen Einnahme von Cola.
6.Tag 21.08.2016 Das Verzascatal
Das Verzascatal ist die Schönheit in den Alpen. Kommt mir nicht mit dem Matterhorn, der Gschmuselalm oder der Gailtalerin. Hier ist die komprimierte Idylle: ein grandioser Fluß mit kunstvoll geformtem Bett, uralte Dörfer, steinerne Bogenbrücken, Wasserfälle. Und wenn man das alles sehen will, muß man das Tal entlang wandern. Mit dem Töff 30km ins Tal gefahren bis Lavertezzo. Dort gibt es diese berühmte Doppelbogenbrücke, von der meine Eltern ein Bild über dem Sofa haben, gemacht von einem berühmten Fotografen.
Die Jugend zeigt hier ihre pfitzenmeiergeformten Körper. Selbst auf der Waage ziehen die noch ihre Bäuche ein. Und natürlich müssen die jungen Kerle von der Brücke ins Wasser springen. Das macht niemand gerne oder freiwillig. Das Wasser ist saukalt. Aber wenn dein bester Freund heruntergesprungen ist, und dann auch noch der Kevin, die aufgerundete Null. Jetzt schaut die Jaqueline, und die Sandra zückt das Smartphone. Dann kannst du spontan sterben oder springen. Also hier müsst ihr her, einfach nur schauen.
Mit dem Bus pünktlich um 10:58 abgefahren das Tal hoch bis ans Ende der Zivilisation: Sonogno. Und dann zu Fuß das Tal zurück. Man kann das in 4h laufen oder man trödelt und knipst, dass es schon dunkel wird, wenn man wieder zurück in Lavertezzo ist.
Im Tessin könnte man auch mal länger bleiben. Da gäbe es noch so viel zu entdecken, meine beiden Wanderungen waren eine harte Selektion unter tausend Möglichkeiten. Heute war es durchwegs sonnig mit Schönheitswolken, da sieht die Welt ganz anders aus. Die miesen Wettertage gehören wohl schon dazu, sag ich jetzt mal saublöd daher. Ich freu mich auf Pizza und Cappuccino, nicht immer belegte Brote mit Früchtetee. Es geht morgen nach Italien, entlang des Lago Maggiore. Und nach zwei sportlichen Tagen habe ich auch wieder große Lust mit dem Töff zufahren. So sagen die hier zu den großen Mopeds und bei der Begrüßung sagt der Wandersmann Salve. Habt ihr das gewußt? Also dann lest brav weiter.