Tag 0 - das Jahr davor
Es geht wieder los. Trotz Krise, Virus, Pandemie. Ich will mit dem e-bike von Heidelberg nach Dresden. Durch fränkische Dörfer und tschechische Landschaften. Knapp 3 Wochen, wenn ich darf. Die Corona-Fallzahlen steigen schon wieder beträchtlich an, und so ist völlig offen, ob nicht plötzlich alles wieder zum Stillstand kommt. Ein halbes Jahr hatte ich getüftelt an einer ganz anderen Reise, so ist es jetzt hektisch geworden mit der neuen Route und ich sitze noch heute Abend am Computer und plane die Strecke. Der Auftrag der diesjährigen Reise ergibt sich aus den Umständen und so gehe ich für euch der Frage nach, ob es ein Leben vor dem Tod gibt.
Ich freue mich ja schon das ganze Jahr auf den Urlaub. Und wenn ich dann unterwegs bin, freue ich mich irgendwann auch wieder auf zu Hause. Tendenziell freue ich mich eigentlich immer. Nur nicht am Tag davor. Der Tag 0 meiner Reiseplanung. Also morgen fahre ich los und ich weiß wieder nicht, ob es richtig ist. Immer noch so mit dem Fahrrad und dem Schlafsack. Kalt, nass, müde, auf dem Boden liegen. Bin ich das noch? Klar ist man immer auf der Suche danach, wie man gerade im Leben steht. Nur weil sich keiner mehr freut, dass ich schon wieder gewachsen bin und die Damen immer älter werden, die junger Mann zu mir sagen. Leute, das Land ist in der Krise und ich mache mit. Ich will wissen, wer ich bin, und wenn ja, wie bescheuert.
Tag 1 - durch den Odenwald nach Miltenberg - 23. August 2020
Wenn man von zu Hause losfährt, ist das natürlich strategisch einwandfrei. Ich starte mit dem schönen Heidelberg, meine Hauptattraktion ist die Bäckerei Gundel. Das hatte ich gestern spät noch ergoogelt, dass man dort sonntags früh um 7:00 Uhr Reiseproviant erstehen kann. Dann noch einmal die Alte Brücke hin und zurück, wie man das als richtiger Tourist macht. Kein Mensch ist auf der Straße, bis auf das allgegenwärtige Kehrmobil. Ein bewundernder Blick hoch aufs Schloss und dann am Neckar stromaufwärts.
Es gibt so viele mittelalterliche Städtchen im Neckartal, man könnte hier Tage verbringen. Neckargemünd, die vier Burgen bei Hirschhorn, die Ersheimer Kapelle und schließlich Eberbach. Es geht auf den alten Treidelpfaden direkt am Wasser, die Autos sind auf der anderen Seite
Bei Eberbach geht es vom Neckar ab und steil in den Odenwald hoch. Es sind dunkle Wälder und auf den wenigen Hochflächen pfeift der Wind und bringt einige Regentropfen. Die Burgruine Wildenberg liegt auf meinem Weg. Zuerst habe ich etwas Bedenken, mit dem Fahrrad in das alte Gemäuer hinein zu fahren. Ich bin phasenweise tendenziell schon immer auch ein bisschen schüchtern. Da aber kein Handlanger staatlicher Autorität irgendwie vorhanden ist, traue ich mich am Ende noch, mein Flugspielzeug in die Luft zu lassen, um einen Blick von oben zu erhaschen.
Nach fast 100 km erreiche ich meinen Zeltplatz in Miltenberg. Das ist eine richtig beeindruckende mittelalterliche Stadt an einer Mainkurve. Unten am Ufer dicht gedrängt Fachwerkhäuser, in den oberen Etagen thronen diverse Schlösschen. Es gibt viel Futter für die Knipse, für den Fotografen ist es schwieriger. Da ich wegen der Abstandsregeln einen ganzen Tisch im Restaurant blockieren würde, gibt's eben keinen. Auch Fußball gucken zum großen Finale ist Fehlanzeige, die Sportbars sind alle geschlossen. Es gibt Pizza auf die Hand, in die andere das Radler.
Der Zeltplatz ist richtig nett. Ich sitze am anderen Mainufer und schaue auf das alte Panorama. Genieße noch ein Dosenbier und das Kribbeln in den Beinen. Ich wollte eigentlich ein bisschen üben mit dem Radeln, aber wie es halt so ist.
Der Zeltplatz ist richtig nett. Ich sitze am anderen Mainufer und schaue auf das alte Panorama. Genieße noch ein Dosenbier und das Kribbeln in den Beinen. Ich wollte eigentlich ein bisschen üben mit dem Radeln, aber wie es halt so ist.
Tag 2 - am Main nach Ochsenfurt - 24. August 2020
Miltenberg verschläft die ersten Sonnenstrahlen. Es geht den Main entlang, quasi mainstream. Frostig kalt ist es und ich wickle die Hände in den langgedehnten Pulli. Die Handschuhe liegen bei den Regensachen ganz unten und ich denke, ich spüre sowieso gleich nichts mehr. Der ergoogelte Bäcker ist in Urlaub und ich muss wieder Nüsse essen zu Instantkaffee. In den Urlaub fahren ist ja prinzipiell ok, auch für den systemrelevanten Bäcker. Aber er sollte das ordentlich bei Google melden. Sonst funktioniert das Internet nicht richtig.
Wertheim ist das nächste Mittelalteridyll. Die alten Gassen sind zu Fressmeilen umfunktioniert und genau das brauch ich jetzt. Frühstück extended. Ich mache noch ein paar Höhenmeter zur obligatorischen Burg. Liegt strategisch völlig sinn frei. Wurde immer daran vorbei erobert oder einfach übersehen und so nie eingenommen. Ganz mein style.
Wertheim ist das nächste Mittelalteridyll. Die alten Gassen sind zu Fressmeilen umfunktioniert und genau das brauch ich jetzt. Frühstück extended. Ich mache noch ein paar Höhenmeter zur obligatorischen Burg. Liegt strategisch völlig sinn frei. Wurde immer daran vorbei erobert oder einfach übersehen und so nie eingenommen. Ganz mein style.
Weiter geht es ins Tauber Tal, seines Zeichen lieblich. Und schon am zweiten Tag zeigt sich wieder eine meiner Zentralkompetenzen, es aus stabilsten Wetterlagen heraus regnen zu lassen. Ganz Europa liegt unter der Augustsonne, nur ein kleines fränkisches Dorf wird geschwind einmal geflutet. Und das in Tauberbischofsheim, das als Teenie mal mein Mekka war. Weil ich als Knirps gefochten habe und hier aus diesem Dorf die Olympiasieger kamen.
Am Ende des Tages bin ich wieder am Main. Ich mache nur nicht jede Schleife mit. Am Zeltplatz in Ochsenfurt angekommen, habe ich den kurzen Gedanken, mich mit 2 Flaschen Bier vors Zelt zu legen. Meine Waden haben das so beiläufig ins Gespräch gebracht. 110 km und der Tourimarathon sollen mich aber nicht davon abhalten, die eigentliche Sinnfrage zu klären. Also kurz unter die Dusche und ab ins Städtchen. Ich habe Hunger und es gibt Schnitzel. Da kann nichts schief gehen. Im Gegensatz zur gestrigen Pizza, bei der Teig und Käse eine unglückliche zähe Liaison eingegangen sind. Es ist schon spät, nur noch die Einheimischen nuckeln am bayrischen Staatsgetränk und ich bekomme einen Tisch am Marktplatz.
Tag 3 - durch den Steigerwald - 25. August 2020
Es wird richtig eisig in der Nacht und ich verziehe mich in die untersten Gefilden meines Schlafsacks. So um die 8 Grad hat es beim Aufstehen und so ziehe ich erstmal alles an, was so greifbar ist. Beide Pullover und aus den Untiefen der Packtasche ziehe ich die Daunenjacke hervor. Handschuhe liegen dank weiser Vorausahnung parat. Mit starken Zweifeln, ob ich wirklich schon um 6:00 Uhr aus den Federn muss, ziehe ich das Standardprogramm durch. Weil ich es eben immer so mache. Bei ersten Sonnenstrahlen durch die wabernden Nebel über dem Main ist das alles wieder vergessen.
Es geht durch die schönen Dörfer Sulzbach, Kitzingen und Dettelbach, die sich am flachen Mainufer sonnen. Für mich geht es dann aber nach Norden durch den Steigerwald. Zielbahnhof für heute ist Bamberg.
Es geht durch die schönen Dörfer Sulzbach, Kitzingen und Dettelbach, die sich am flachen Mainufer sonnen. Für mich geht es dann aber nach Norden durch den Steigerwald. Zielbahnhof für heute ist Bamberg.
Einmal muss ich heute in die Werkzeugkiste greifen. Im 3. Gang berghoch quietschen die Bremsen zum Davonlaufen. Keine Ahnung was die Gangschaltung mit der Bremse zu tun hat. Ich baue die Bremsbeläge aus und gebe der Federhalterung etwas mehr Vorspannung. Justiere nochmal die Bremsbeläge und die Bremsscheibe. Dabei fällt mir auf, dass die Scheibe ein Schlägle hat und biege mit einem Adrenalinstoss das Metall gegen die Unwucht. Momentan ist Ruh. Irgendwas hat geholfen.
An den Flüssen entlang gibt es immer perfekt ausgebaute und markierte Fahrradstraßen. Das haben die Deutschen einfach drauf. Da ist immer viel Betrieb auf den asphaltierten Schnellstraßen. Ich bin jetzt weg vom Main quer durch Steigerwald auf rumpligen Schotterstrecken unterwegs und so mancher Weg war so zu gewuchert, dass es nur ein Zurück gab.
Nach wieder fast 100 km und 1200 Höhenmeter setzten sich die Waden durch. Wir bleiben auf der Campinginsel, 5 km vor Bamberg. An der Rezeption stand schon geschrieben, dass alles ausgebucht sei. Aber für ein kleines Zelt gibt’s dann doch noch Platz. Und was für ein schöner, direkt am Fluss Regnitz. Und statt Bamberg gibt’s gleich Biergarten.
Obatzter in Oberbayern, Gerupfter in Franken ist ein Käsevielerlei, zusammengerupft mit Zwiebeln. Sieht harmlos aus, ist aber echte Arbeit. Nichts darf übrig bleiben.
Nach wieder fast 100 km und 1200 Höhenmeter setzten sich die Waden durch. Wir bleiben auf der Campinginsel, 5 km vor Bamberg. An der Rezeption stand schon geschrieben, dass alles ausgebucht sei. Aber für ein kleines Zelt gibt’s dann doch noch Platz. Und was für ein schöner, direkt am Fluss Regnitz. Und statt Bamberg gibt’s gleich Biergarten.
Obatzter in Oberbayern, Gerupfter in Franken ist ein Käsevielerlei, zusammengerupft mit Zwiebeln. Sieht harmlos aus, ist aber echte Arbeit. Nichts darf übrig bleiben.