Konrad Gös

Schottland 2015 Teil 1

Die Anfahrt

Sonntag zu Hause, es regnet
Startschuss gibt der Wecker um 5:00 in der früh. Draussen ist es stockduster und ich spule meinen Plan ab: Brote schmieren, Kühlschrank leeren, Schlafsack und Zelt in den großen Packsack. Als ich die beiden Alukoffer, die zwei Packsäcke und den Tankrucksack auf die Straße trage, fängt es an zu dämmern. Ich brauche noch ziemlich lang, um meine Rüstung anzulegen. Jede Menge Reißverschlüsse, und am Ende die dicken Handschuhe, die mich zum Grobmotoriker machen. Ich lasse den dicksten Pullover noch im Koffer, ich brauch ja Steigerungspotential.

Die ersten Kilometer fahre ich unter tiefen asphaltschwarzen Wolken und ich teste aus, mit welcher Geschwindigkeit ich am besten auf der Autobahn klar komme. Über 120 geht gar nicht, da fängt das Motorrad an zu pendeln. Über 100 ist hektisch, weil man zwar die Laster überholt, aber ständig wieder nach rechts ziehen muss. Ich gebe mich geschlagen und bleibe einfach rechts. Irgendwie bin ich ja auch ein Lastkraftmotorrad.

Rechts auf der Autobahn, das ist wie Joga auf der Matte. Du darfst halt nicht einschlafen. Man kann die großen Laster bei ihren sinnlosen Wettkämpfen zwischen 89 und 94 Stundenkilometer beobachten. Ich bin meistens gut im Windschatten, träume vor mich hin und die Kilometer werden eingesammelt.

Bis Frankfurt war der trockene Abschnitt, jetzt beginnt es heftig zu regnen und das wird bis Amsterdam so weitergehen. Da hat es 3 Monate nicht mehr richtig geregnet und wenn ich dann mal den Landkreis verlasse, beginnt der Klimwandel. Wenn ihr mal sonnigen und warmen Urlaub machen wollt, fragt mich vorher nach meinen Reiseplänen und dann fahrt ihr einfach ganzwannanders ganzwoandershin!
Da schon das heimische Testlabor keine lecke Stelle in meiner Rüstung gefunden hat, konnte ich es mir in meinem Mikrokosmos Helm gemütlich machen. Dazu musste aber schon die 5- lagige Wärmedämmung herhalten, es wurde einfach kalt.

Das Navi bringt mich nach Ijmuiden, den Hafen von Amsterdam. Punktgenau zum Eingangstor der Fährgesellschaft. Zuerst einchecken: Papiere und Passport. Das ist ein bisschen ein Gedöns, weil alles aus der wasserfesten Verstecken geholt werden muss und ich mich auch aus Helm, Gehörschutz und Handschuhe quälen muss. Jetzt steht aber 3,70m weiter ein breitbeinig finsterblickender immobiler Polizist, wie Ronaldo vor dem Freistoß. Ich muss also Passport in wasserdichte Tasche, Helm auf, Mottorad an, dann 3m, Moto aus und stopp und auf Ständer. Passport aus wasserdichter Tasche gezerrt. Er vergleicht dann mein jugendliches Passbild mit den Teilen meines Gesichts, die hinter dem beschlagenen Visier durch den Helm schauen. Er muss dann widerwillig gewisse Ähnlichkeiten zugestehen, und unter seines Gnaden darf ich weiter.

Fähre ist der Inbegriff des Urlaubs. Zuerst muss ich die glitschigen nassen Metallflächen hoch. Oben angekommmen muss man selber die Motorräder festzurren. Kurz in meine Kabine um das Gepäck loszuwerden und dann auf Deck. Im Hafen liegen große Segelschiffe, im Hintergrund sieht man riesige Schwerindustrieanlagen. Auf einer Insel im Hafengebiet liegen alte Bunker und auf der anderen Seite gibt es Sandstrand mit Surfern.

Heute bin ich froh, dass ich nochmal ein warmes Bett habe und das Schiff wird mich schnell in den Schlaf schaukeln.
Tag 3 19. August Die Lowlands
Es geht weiter von Newton Steward duch eine karstige Hochebene. Nichts außer Schafen. Null Verkehr. Dafür dichter Regen. Mitten drin ein Pub. Hier möchte ich rein. Gleichzeitig mit mir aus der anderen Richtung kommt ein Motorradfahrer aus der Schweiz und wir setzen uns zusammen an den einzigen freien Tisch. Es gibt eine Menükarte und man kann wählen, ob man die Suppe mit oder ohne chicken haben möchte. Dazu Kaffee zum selber runterdrücken.
Alexander ist Zimmermann und kündigt je nach Reiselust mal für ein halbes Jahr den Job. Seit April ist er unterweg, zuerst im winterlichen Norwegen, dann über Schweden nach Schottland. Hier hat er Freunde, die eine Einsiedelei aufbauen und da ist er als Zimmermann natürlich gefragt. Fotos dagegen sind halt irgenwie immer nur Deko.

Nach 2 Stunden Tratsch fährt jeder wieder weiter in seine Richtung der Sonne entgegen.
Tag 1 Anfahrt zur Fähre nach Amsterdam
Jetzt geht es wieder los. Morgen. Nach Schottland. Dieser fantastische Sommer geht ganz selbstbestimmt abrupt zu Ende. Heute zur Einstimmung regnet es in Heidelberg komplett durch und ich habe die Aufgabe, die Fotos der gestrigen Hochzeitsfeier zu bearbeiten. Ansonsten sind die Koffer und Taschen gepackt und vor lauter Neugierde und Anspannung wollte ich gleich losfahren.

Mit dem Zelt und dem Motorrad? Das habe ich mich nun lange genug gefragt, plane seit letztem Jahr die Eventualitäten, den Dauerregen, den Linksverkehr und die Mücken. Aber wie ist das mit der Vorfahrt auf der Insel: links vor rechts? Oder wird das verhandelt? Wie rum in den Kreisverkehr? Tragen die Schotten wirklich Frauenkleidung? Gibt es morgens gar keine Honigbrote, sondern nur fettige Wurst?

Ich bin fest entschlossen, mich den Gebräuchen der Einheimischen anzupassen und zu machen, was alle machen. War bisher auch mein Plan und ich bin damit ganz gut durchs Leben gekommen. Und es ist natürlich der Auftrag, euch davon zu berichten.

Morgen ganz früh soll es los gehen, 530 km nach Amsterdam. Für einen richtigen Motorradfahrer und alle die Windgesichter ist das natürlich kein Problem, aber meine persönliche Bestleistung liegt bei 300km. Und ich muss auf die Fähre um 16:00 Uhr. Da hilft nur Weckerstellen. Und dann sehen wir, wie romantisch die Autobahn ist.

Hier seht ihr, wie man sich auf Schottland fachmännisch vorbereitet. Wassertest bei 30 Grad.
Der Regen wird heftiger und da ich heute die freie Wahl habe, gibt es Bed & Breakfast. Und das Zimmmer ist ein romantischer Mädchentraum in Plüsch. Gespannt bin ich auf das zweite B. Das Mütterchen hat mich gefragt ob ich das komplette scotish breakfast möchte. Und das will ich natürlich.

Jetzt: Mütterchen. Darf man das sagen oder ist es politisch unkorrekt. Ich denke, das ist eine Berufsbezeichnung für eine älteren Dame mit Tendenz zur Fürsorglichkeit. Und genau solche machen immer so eine Job wie hier.
Nach 10 Stunden Exquisitschlaf auf weichster Wiese weckt mich die Sonne. Um 9:00 bin ich auf dem Mottorrad und die Lowlands liegen mir zu Füßen. Lowlands sind nicht irgendwie niedrig oder flach, es geht in weichen Schwüngen hoch und runter. Die Lowlands heißen wohl so, weil es eben die Highlands gibt und man muß das ja irgendwie unterscheiden können. Kastanienwälder, Eichen, Schafweiden, alles Natur und so.

Heute morgen ist volles Touriprogramm: Kirkcudbright, Gatehouse of Fleet, Cardoness Castle und Newton Steward sind lauter kleine Städtchen am Fluß oder am Meer mit Hafen. Es liegen diese bulligen Fischerboote bei Ebbe rum und verbreiten ihren rostigen Charme mit Fischgeruch. Es sind wunderschöne Örtchen, die ich so gar nicht erwartet hätte. Ist ja eher die große weite Natur und Landschaft, für die die Gegend berühmt ist. Aber mir gefällt das schon sehr mit den alten Mauern, die kleinen Geschäfte und das Gewerkel an den Booten.

Die ersten Fotos heute morgen sind voller Nebel. Es muß sehr kalt gewesen sein heute Nacht und die Kamera ist es noch und so beschlägt sich vorne die Linse trotz ständiger Wischerei.


Nach 600 km Regenfahrt habe ich mir heute die Kette vorgenommen. Die muß geschmiert werden. Also Gepäck runter, die 250kg auf den nachträglich angebrachten Hauptständer mit viel Schwung. Ich muss das Hinterrad drehen können, um die Kette gleichmäßig zu schmieren. Alles zu Hause geübt und auch die große Dose Kettenöl dabei, weil es bei dem Regen einfach großen Verschleiß gibt.

Jetzt muss ich schnell machen, dunkle dicke Wolken sind auf dem iPad und am Horizont im Anmarsch. Alle Schotten dicht, und wenn es heute Abend wie angekündigt zu stark regnet, nehme ich ein Bed & Breakfast.